Qualitäten, Quantitäten – Wider das kleine Karo der Dienstordnungen

Von Hans Schlumberger

„Merkwürdig viele Kolleginnen und Kollegen setzen in diesen Monaten verwegene Hoffnungen auf die Vereinbarung und den Erlass von Dienstordnungen, die einem Leitbild jener Epoche folgen, der die Massenproduktion in der Fabrik als Inbegriff des Fortschrittes galt, und so Äpfel und Birnen, Abendmahlsgottesdienste und Zuschussverhandlungen, Krankenbesuche und zähneknirschend übernommene Hausmeisterdienste „erfassen“, „auflisten“, als Zahlenkolonnen darstellen und zu einem Zahlenwert zusammenrühren, der als durchschnittliche Jahres- oder Wochenstundenzahl unsere „Produkte“ wie unsere Arbeiten zur austauschbaren Ware erklären und mit der gelebten Pfarrhauswirklichkeit und der dort geleisteten Arbeit nicht viel zu tun haben wird.  Entlastung erhofft man sich offenbar davon, Begrenzbarkeit. Erleichterung also für die Mühe, zwischen bezahlter Arbeit, unbezahlter Arbeit (der oft übersehene dritte Sektor: Haushalt, Familie, Ehrenamt) und Muße getrösteten Gewissens einen akzeptablen Trennungsstrich hinzukriegen und damit respektiert zu werden, jedenfalls keinen Sympathieverlust zu erfahren.

Legitimation also. Für Feierabend und Feiertag: für das, was seit dreitausend Jahren durch das Sabbatgebot nicht etwa bloß legitimiert, sondern als Bundesbestimmung des Volkes Israel kategorisch geboten ist und durch uns öffentlich zu verkünden und zu vertreten. Geschehen soll das ausgerechnet mit Hilfe eines Rezepts, das Jesus gelegentlich scharf kritisiert oder der Lächerlichkeit preisgegeben hat: Statt ein wortkarges und klares biblisches Gebot schlicht zu beachten, wird es von hundert papiernen Bestimmungen und Vereinbarungen, die es einmal schützen sollten, bis zu Unkenntlichkeit und Paradoxie überwuchert.

Tatsächlich kann es leicht passieren, dass wir dadurch verstärkt zu Dienstmägden und Knechten dessen werden, was uns vermeintlich freier macht: Eines Tages wird nicht mehr die Dienstordnung für die Pfarrerin da sein, sondern die Pfarrerin für die Dienstordnung. (…)

Wo die Enge, hier die Engmaschigkeit von Dienstbeschreibungen, regiert, wird es unter solchen Umständen noch enger werden. Wenn die Pflichten vieler Pfarrerinnen und Pfarrer dicht erfasst sind, liegt es nahe, Schrauben fester anzuziehen. Ein Mausklick langt. Befreundete Kollegen aus Kantonalkirchen der alemannischen Schweiz haben mir erzählt, wie ihnen Mitglieder der Chillepfläg (des Presbyteriums) detailversessen, kontrollwütig und mit wenig Rücksicht auf ihre persönliche Gestaltungsfreiheit und Verantwortungsbereitschaft mit Viertelstundenrastern in die Details ihres Dienstes hineinregieren und unangemessene Arbeitgeberallüren entwickeln. Kirchliche Konflikte dort erhitzen sich in diesen Jahren oft ins Unerträgliche. Dienstordnungen, auf die sich die Quälgeister gern berufen, heißen dort übrigens in erfrischender Klarheit „Pflichtenheft“.

Den spezifischen Notwendigkeiten der Region oder des Orts angemessene, kollegial, also dezentral und horizontal (und damit im besten Sinn „subversiv“) ausgehandelte Vereinbarungen in allen Ehren. Davon können wir kaum genug haben. An vielen Orten fehlen sie noch. Wer aber einen wesentlichen Teil seiner Bereitschaft zur personalen Verantwortung an ein Stück Papier delegiert und dem Text darauf damit eine gewisse Autorität verleiht, sollte sich nicht wundern, wenn dieses Stück Papier sich eines Tages gegen sie oder ihn selbst richtet. Nicht gegen Trägheit oder Faulheit, sondern gegen Gestaltungslust, Personalität und notwendige Schlupfwinkel der Freiheit in einem der vielfältigsten, freiesten und (also?) schwierigsten Berufe – um Machtgehabe und Kontrollgelüst zu bedienen.

Herr, schmeiß Rückgrat vom  Himmel!“

Lesen Sie hier den ganzen Artikel: https://www.aufbruch-gemeinde.de/download/schlummberger-kblatt-1601.pdf  (Korrespondenzblatt Nr. 1/2016, S. 1 ff.)

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