Vortrag beim Deutschen Pfarrertag 2012 in Hannover
Von Isolde Karle
Welche Pfarrerinnen und Pfarrer braucht das Land? Das ist eine Frage, die sich nicht einfach beantworten lässt. Denn wer ist »das Land«? Welche unterschiedlichen Perspektiven verbergen sich hinter »dem Land«? Was braucht die Ortsgemeinde für Pfarrerinnen und Pfarrer? Sind das dieselben Pfarrerinnen und Pfarrer, die die Kirchenleitung braucht? Und welche Pfarrerinnen und Pfarrer braucht die säkularisierte Gesellschaft?1
„Pfarrerinnen und Pfarrer sind nicht nur professionelle Spezialisten, die einfliegen, wenn sie gebraucht werden. Sie leben mit den Menschen vor Ort, sie wissen um ihre Nöte, sie engagieren sich zivilgesellschaftlich, sie sind vernetzt in die nachbarschaftlichen und lokalen Strukturen hinein, sie kennen viele Familien und ihre unterschiedlichen Höhe- und Tiefpunkte. Sie sprechen begabte Menschen an und gewinnen sie für die Mitarbeit in der Gemeinde. Sie begleiten Ehrenamtliche, die individuell wahrgenommen und wertgeschätzt werden wollen. Pfarrerinnen und Pfarrer sind Kontaktpfleger von Beruf.
Es gibt ganz sicher Menschen, die mit der Sozialform Gemeinde nichts anfangen können. Aber zugleich lässt sich beobachten, dass gerade unter den spätmodernen Bedingungen der Anonymität und Vereinzelung überschaubare Sozialgebilde wie Kirchengemeinden und Nachbarschaften neu an Attraktivität gewinnen. Menschen brauchen die Vertrautheit von Zeiten, Orten und Gesichtern. Gerade in Zeiten der medialen Kommunikation ist die Interaktion von körperlich Anwesenden etwas Besonderes und keinesfalls gering zu achten. Nur in »face-to-face-Begegnungen« entstehen das Vertrauen und die Authentizität, die für eine glaubwürdige und nachhaltige Bearbeitung von individuell relevanten Fragen notwendig sind. Die direkte Begegnung unter Anwesenden macht die Mitgliedschaft attraktiv, nichts anderes. Hier werden Ideen und Erkenntnisse lokalisiert und geerdet und gewinnen Kontur und Anschaulichkeit. Die vielen verabredeten und zufälligen Begegnungen des Pfarrers oder der Pfarrerin mit Gemeindegliedern können in ihrer Bedeutung für die Kirche deshalb kaum hoch genug veranschlagt werden. Vor allem durch sie entsteht das Interesse für die Inhalte, die die Kirche verkündigen will. Oft ergeben sich auch wichtige seelsorgerliche Gespräche zwischen Tür und Angel.
Wenn man einer empirischen Studie von Karl Gabriel und Helmut Geller glauben darf, ist die Gemeinde ein vorzüglicher Ort der Auseinandersetzung mit den sozialen Veränderungen vor Ort und dabei sehr viel ideenreicher und zivilgesellschaftlich engagierter als dies der gegenwärtige Diskurs über milieuverengte Gemeinden vermuten lässt. In den Gemeinden wird eine Kultur der Begegnung, des Gesprächs, des gemeinsamen Feierns, Nachdenkens und Handelns eingeübt und gepflegt und der Glaube alltagsnah mit anderen geteilt. Nur so bleibt er lebendig. Hier bildet sich religiöse Identität, hier wird diskutiert, etwas gemeinsam durchlitten oder auch emotional bewegt, dankbar erlebt und miteinander geteilt. Hier entstehen religiöse Bindungen und lebenslange Loyalitäten. Hier kann aber auch jeder und jede in sicherer Distanz bleiben und trotzdem dazugehören. Das ist die große Stärke der Volkskirche.“
Lesen Sie hier den ganzen Vortrag: http://www.pfarrerverband.de/pfarrerblatt//index.php?a=show&id=3264