Von den Sorgen um die Zukunft der Kirche

»Es ist genug, dass jeder Tag seine eigene Plage habe.«

Von Christian Möller

Der Umbau der norddeutschen Landeskirchen zur »Nordkirche« hat  manche in Sorge ­gestürzt, was diese Nordkirche bringen wird. Statt die  Sorgen großzuschreiben, sucht Christian Möller zunächst bei Kierkegaards  Analyse der Sorge Rat, um sodann die Zukunft der Kirche in der  Geistesgegenwart des Glaubens in den Blick zu nehmen.

Im  Jahr 1848 veröffentlichte Sören Kierkegaard 28 »Christliche Reden«,  unterteilt in vier Hauptteile, die je 7 Reden enthalten. Der erste  Hauptteil ist überschrieben: »Die Sorgen der Heiden«. Was für Heiden?  Kierkegaard meint Menschen, die sich Christen nennen, sich aber  tatsächlich wie Heiden verhalten, weil sie verzweifelt um ihre Zukunft  besorgt sind und sich eben so verhalten, wie Jesus es in der Bergpredigt  zum Ausdruck bringt: »Nach solchem allem trachten die Heiden«. Heiden  sind also solche, die faktisch leben, als seien sie ohne Gott in der  Welt und ganz auf sich selbst gestellt. Das nennt Kierkegaard  »Heidentum«: So mit der Zukunft umgehen und sie planen, als gehöre sie  ihnen.

Das Heidentum bekommt den heutigen Tag gar nicht in den  Blick, weil es von der Sorge um den nächsten Tag, um das Morgen, um die  Zukunft beherrscht wird, als gebe es gar keinen Gott, der mir mit seiner  Ewigkeit den Rücken frei hält und für morgen sorgt. Nein, ich muss mir  selber Sorgen um die Zukunft machen, wie die deutsche Sprache  bezeichnenderweise diese Art von Sorgen nennt, während sie die Aufgaben,  die mir dieser Tag mit seiner Plage stellt, Besorgungen nennt.  Die täglichen Besorgungen erledige ich freilich nur hastig und mit  linker Hand, wenn mir eigentlich das Morgen und d.h. die Zukunft Sorgen  macht. Kierkegaard sagt es auf seine Weise so: »Wie der Christ beständig  vom »Heute« spricht, so der Heide beständig nur vom »Morgen«. Es macht  für den Heiden eigentlich gar nichts aus, wie das Heute ist, ob froh  oder düster, glücklich oder unglücklich; er kommt nicht dazu, den  heutigen Tag zu genießen oder überhaupt zu gebrauchen, denn er vermag  sich nicht von der unsichtbaren Inschrift an der Wand abzuwenden:  »morgen«. »Morgen werde ich vielleicht darben, auch wenn mir heute  nichts fehlt; morgen werden mir vielleicht Diebe meinen Reichtum stehlen  oder Verleumder meine Ehre, Kränklichkeit meine Schönheit, die Tücke  des Schicksals mein Glück – morgen, morgen.« …

Da zeigt sich, was Christ-sein heißt: Heute da sein. Da zeigt  sich aber auch, was Heide sein heißt: Auf Morgen fixiert sein. Es  kommt auf die Einstellung an, die den Umgang des Heiden vom Umgang des  Christen mit der Zukunft unterscheidet. Die Einstellung des Heiden, der  ganz auf sich gestellt ist, führt unvermeidlich zu einem Berechnen der  Zukunft, woraus dann ebenso unvermeidlich die Sorge vor einer derart  geplanten Zukunft und eine Abwesenheit im Heute hervorgeht. Die  Einstellung des Christen erfolgt aus einer Umkehr, die zugleich Abkehr  von der Zukunft und Einkehr ins Heute mit sich bringt. Diese Umkehr ist  dem Menschen freilich nur im Glauben möglich, dass für ihn zukünftig  gesorgt ist, so dass er den Rücken frei hat und sich diesem Tag mit  seinen Besorgungen ganz und gar zuwenden kann. …

In  Kierkegaards Rede von der »Sorge der Selbstquälerei« wird deutlich, wie  nicht nur ein einzelner Christ, sondern wie eine ganze Kirche mit Hilfe  von Zukunftsplanungen ins Heidentum zurückfallen kann und sich selbst  in tiefe, abgründige Sorgen um das Morgen verstrickt. Unsere  evangelische Kirche scheint mir eine zutiefst um sich selbst besorgte  Kirche geworden zu sein.

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(Deutsches Pfarrerblatt, Heft 4/2012, S. 211 ff.)

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