Die Ortsgemeinde als Befehlsempfänger und Bittsteller?

Aus fast allen Kirchenkreisen der Nordkirche kamen VertreterInnen zum 2. Treffen des Freien Forums Ortsgemeinde nach Hamburg-Eilbek. Zu Gast waren Hans-Jürgen Schuster und Pfr. Johannes Taig aus dem Vorstand des Gemeindebunds Bayern.

Kurzvortrag beim 2. Treffen des Freien Forums Ortsgemeinde in der Nordkirche am 01.09.2012 im Gemeindehaus der Versöhnungskirche in Hamburg-Eilbek

Von Pfarrer Johannes Taig, Hof

Sehr geehrte Mitglieder des Freien Forums Ortsgemeinde in der Nordkirche, sehr geehrte Gäste und Interessierte, liebe Schwestern und Brüder,

ich möchte mich herzlich für die Einladung zum heutigen Tag bedanken und Ihnen zur Gründung des Freien Forums Ortsgemeinde in der Nordkirche gratulieren. Bei unserem ersten Aktionstag des Forums Aufbruch Gemeinde in der bayerischen Landeskirche (ELKB), am 11. Oktober 2008 in Nürnberg, sagte Christian Möller: „Eigentlich müsste es für die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern ein Grund zur Freude sein, dass heute ein Aktionstag fränkischer Kirchengemeinden unter dem Motto ‚Aufbruch Gemeinde‘ stattfindet. Dass aus ‚Betreuungsgemeinden‘ endlich ‚Beteiligungsgemeinden‘ werden, die bewusst den Weg der Kirche vor Ort selber gestalten, indem sie sich als Basis der Kirche begreifen und daraus Konsequenzen ziehen – diese Forderung beginnt in dem ‚Aufbruch Gemeinde‘ heute konkrete Gestalt anzunehmen. Wenn dieser Anfang sich in der ganzen Landeskirche und dann gar in der ganzen Evangelischen Kirche in Deutschland mit ähnlichen Aktionstagen ausbreitete, könnten sich die Kirchenleitungen glücklich preisen, dass sie es mit aktiven Beteiligungsgemeinden zu tun bekommen, die vor einer Verantwortung für die ganze Kirche nicht zurückscheuen.“

Nun – die Glücklichpreisungen hielten sich in der ELKB in engen Grenzen. Wir wurden als Kirchenrebellen und außerparlamentarische Opposition eingestuft. Da ging es teilweise schon schrill zur Sache. Wenn wir die Kirche verändern wollten, dann sollten wir uns doch bitteschön in die Synode wählen lassen. Ich zumindest war schon da. In der bayerischen Landessynode gibt es Arbeitskreise, die z.B. „Offene Kirche“ oder 3. Arbeitskreis und auch „Gemeinde unterwegs“ heißen. Letzterer setzt sich schwerpunktmäßig für die Belangen der Ortsgemeinde ein. Die Mehrheit in der Synode hat er nicht. Das ist der Punkt. Wenn mich jemand fragt, warum ich beim „Aufbruch Gemeinde“ bin, obwohl ich doch in der Synode sitze, dann sage ich: Gerade deshalb! Es braucht auch außerhalb der Synode Menschen, die die Stärkung der Ortsgemeinde zu ihrem Anliegen machen und dadurch denen, die in den Kirchenparlamenten diese Anliegen vertreten, den Rücken stärken. Solche Foren und Gemeindebünde können Anträge und Eingaben an die Parlamente richten und in ihrer eigenen Arbeit dieses Thema diskutieren und wachhalten. Das ist unsere und auch Ihre Aufgabe, die Sie ja auch auf Ihrer Homepage formuliert haben.

Inzwischen unterstützen auch einige Synodale unsere Arbeit namentlich. 239 Menschen haben sich bisher auf der Unterstützerliste des Aufbruchs Gemeinde eingetragen. Der im Februar gegründete Gemeindebund Bayern hat bisher 24 Mitgliedsgemeinden, der Gemeindebund Berlin-Brandenburg 48. Dort ist der Leidensdruck der Gemeinden höher als in Bayern, da viele von ihnen von Zwangsfusion bedroht sind, die sie ihrer gewohnten Selbständigkeit und vieler ihrer angestammten Rechte beraubt.

Warum sind es noch nicht mehr Menschen und Gemeinden, die sich zu unserem Thema zusammenfinden?

Drei Aspekte fallen mir ein:

  • Zum Ersten ist der Leidensdruck für viele Gemeinden noch nicht spürbar genug. Nicht nur die Gesellschaft, sondern auch die Kirchen schwimmen – Dank guter Konjunktur – immer noch im Geld, und können so teils sich widersprechende Wünsche und Anliegen immer noch gleichzeitig bedienen. Die von „Kirche der Freiheit“ (KdF) an die Wand gemalte schwere Finanzkrise der Kirche steht auch nach 6 Jahren nur auf dem Papier. Während seitdem die Mitgliederzahl der Evang. Kirchen in Deutschland um 6% zurückgegangen ist, ist das Kirchensteueraufkommen um über 1 % gestiegen! „Leuchtfeuer“ entzünden – wie es KdF als unabdingbar ansieht – oder als Kirche in der Fläche (und damit in der Ortsgemeinde) bleiben, ist bis heute noch keine notwendige Alternative.
  • Dies führt zum Zweiten dazu, dass die Mehrheit der Kirchengemeinden sich nach wie vor gut versorgt fühlt und mehrheitlich immer noch davon ausgeht, dass dies auch so bleibt. Diese Betreuungs- oder Versorgungsmentalität ist in Deutschland nicht nur gegenüber Vater Staat, sondern auch gegenüber Mutter Kirche ebenso tiefsitzend, wie verbreitet.
  • Erschwerend kommt schließlich ein Drittes hinzu: Angst. Wir bekommen offene Rückmeldung von MitarbeiterInnen, die befürchten, ihre Kirchenkarriere sei beendet, wenn sie sich offen für unsere Anliegen einsetzen. Gemeinden und Kirchenvorstände befürchten bei einer Mitgliedschaft im Gemeindebund benachteiligt zu werden. Offenbar hat man Angst, die Vorgesetzten und die Kirchenleitung könnte das Vertrauen in eine Basis und bestimmte MitarbeiterInnen verlieren, die selbst initiativ werden. Wenn da etwas dran sein sollte, dann ist dies ein ernstes Krankheitssymptom für eine sich evangelisch nennende Kirche. Eine solche Kirche setzt nicht länger auf die Freiheit ihrer Christenmenschen und das Priestertum aller Gläubigen, sondern auf eine klerikale Amtsautorität im Modus der Anmaßung, die in einer evangelischen Kirche nichts verloren hat. In einer evangelischen Kirche muss mit Gründen der Schrift und Argumenten der Vernunft (Luther) auf Augenhöhe (!) gestritten werden und nicht nach dem landesherrlichen Kirchenregiment.

Leider ist der Eindruck nicht unbegründet, dass in den aktuellen Entwicklungen in der EKD die „Gründe der Schrift“ und damit die Theologie eine immer geringere Rolle spielen. Mit dem Impulspapier „Kirche der Freiheit“ (KdF) haben sich andere Taktgeber und Begründungszusammenhänge vor allem aus der Organisationstheorie und der Ökonomie in die Köpfe und Herzen der Kirchengestalter eingeschlichen. Diese Vorstellungen sind seither am Werk, wenn auch in der ELKB behauptet wird, KdF sei heute bereits mehr ein historisches Dokument als Leitbild kirchlichen Handelns. Das dies wenig zutreffend ist, sieht man daran, dass die Diskussion über KdF nicht verstummen will, zuletzt in der Märzausgabe von „zeitzeichen“ und in der Augustausgabe des Deutschen Pfarrerblatts, in der Friedhelm Schneider unter dem Titel „Struktur-k(r)ampf in der evangelischen Kirche“ (Nr. 8/2012, S. 481 ff.) über die Auswirkungen der Reformprozesse in der Evang. Kirche Hessen-Nassau (EKHN) äußerst kritisch berichtete. Sein Bericht soll der Auftakt einer Reihe mit Analysen aus anderen Landeskirchen im Pfarrerblatt sein.

Drei Methoden lassen sich übergreifend beobachten:

1. Das Prinzip der zentralen Steuerung

Die jüngste Analyse von Friedhelm Schneider zeigt am Beispiel von Hessen-Nassau, wie sich das Schwergewicht kirchlichen Leitungshandelns – leider muss man sagen: wie in ganz alten Zeiten – zugunsten der strukturellen Koordination verschoben hat. Man unterscheidet zwischen struktureller und nicht-struktureller Koordination:

Quelle: Friedhelm Schneider a.a.O

„Die negativen Auswirkungen in Bezug auf die kirchlichen Zielsetzungen seien an drei Beispielen angezeigt:

  • »Geistliche Gemeinschaft«, »Nähe zu den Menschen« – das waren inhaltliches Denken und Handeln bestimmende Ziele der Kirche. Und heute? Kenner konstatieren eine »große innerkirchliche Selbstbeschäftigungsmaschinerie.« Der Weg zurück zu den Menschen wird nur über nicht-strukturelle Koordination zu erzielen sein.
  • Machtwechsel von der Theologie zur Bürokratie, vom Kirchenpräsidenten zum Finanzabteilungsleiter. Dazu bedenke man die Erkenntnisse Max Webers: »Eine einmal durchgeführte Bürokratie gehört zu den am schwersten zu zertrümmernden sozialen Gebilden … Als Instrument … war und ist sie daher ein Machtmittel allerersten Ranges für den, der über den bürokratischen Apparat verfügt.« (Manche sprechen schon von der seit KdF entstandenen Reformbürokratie. Anm. d. V.)
  • Finanzen und Wirtschaftlichkeit. Generell gilt: kein System kann günstiger sein als eines, das auf Selbstregulierung basiert. Denn in betriebswirtschaftlicher Sicht erhöht die Gewichtsverlagerung zur »Struktur« die Gemeinkosten und senkt damit die Wirtschaftlichkeit. Und das mit wachsender Tendenz.“ (Schneider a.a.O)

Es leuchtet ja jedem auf den ersten Blick ein, dass Dinge wie Solidarität, geistliche Gemeinschaft, Kreativität, intrinsische (von innen kommende) Motivation, Überzeugungskraft, geradezu wie die Luft zum Atmen für ein lebendiges kirchliches Leben sind. Dass inzwischen auch die Ökonomie begriffen hat, dass hiermit auch eine höhere Wirtschaftlichkeit einhergeht, entbehrt nicht einer gewissen Komik. Man kann KdF, wo mit Argumenten aus dem Wirtschaftsleben argumentiert wird, auch widersprechen aus ökonomischen und organisationstheoretischen Gründen.

Isolde Karle bringt es in ihren „12 Thesen zur Kirchenreform“ auf den Punkt: „Die evangelische Kirche ist von unten, von den Gemeinden her aufgebaut. Sie hat eine föderale Struktur und wird synodal-demokratisch geleitet. Als Kirche der Freiheit und Kirche der Vielfalt ist ihr eine hierarchische, einheitliche, autoritäre Struktur fremd. Prinzipiell haben alle Christen teil am Lehr- und Leitungsamt der Kirche. Tendenzen innerhalb der EKD und mancher Kirchenleitungen, die Kirche von oben her, top down, zu steuern, widersprechen dem Wesen des Protestantismus. Evangelische Kirchenleitung ist herausgefordert von oben von unten her zu denken. Reformvorschläge der Kirchenleitung müssen deshalb dem offenen Diskurs ausgesetzt werden und können nur gelingen, wenn sie von einer breiten Basis unterstützt, mitgetragen und befürwortet werden.“ (Isolde Karle, „Kirche im Reformstress“, Gütersloh 2010, S. 256ff.)

2. Das Prinzip der Regionalisierung und Filialisierung der Gemeinden

Es gab auch in der Wirtschaft einmal eine Zeit, in der alle glaubten, größere Einheiten seien irgendwie effizienter, wirtschaftlicher, attraktiver, besser, schöner und und und. Daimler hat bekanntlich mit Chrysler dazugelernt. Das blöde an der Kirche ist, dass sie ein noch größerer Tanker ist, so dass sie einen einmal eingeschlagenen Kurs noch mindestens 10 Jahre weiterfahren muss, bevor sie die Kurve kriegt. Deshalb besichtigen wir in der Kirche länger die Fehler, aus denen andere längst gelernt haben. Die Beispiele vom Segen solcher Großeinheiten in Gemeinde und Diakonie sind äußerst überschaubar. Stattdessen wird an wesentlich mehr Beispielen sehr offensichtlich, wie viel intrinsische Motivation, wie viel Engagement, geistliche Gemeinschaft, Solidarität und kreative Selbstregulierung bei der Bildung solcher Großeinheiten in kürzester Zeit auf der Strecke bleiben können. Ebenso einleuchtend dürfte sein, dass die Gemeinden am Ort im Vorteil sind: Sie kennen und erkennen die Veränderungen in ihrem Umfeld am besten und können am schnellsten darauf reagieren – wenn man sie lässt und hierfür entsprechend ausstattet.

Aufgehoben habe ich, was der Professor für Landschaftsökologie an der TU München, Ludwig Trepl, kurz nach Erscheinen von KdF im Juli 2006 im Forum der EKD schrieb. Fast jedes Schlagwort ist ein Zitat: „Die Verfasser (von KdF) scheinen nicht bedacht zu haben, daß die derzeitige Wiederkehr der Religion (S. 14) nicht zuletzt und vielleicht sogar hauptsächlich daher kommt, daß viele Leute nach jahrelanger Dauerbeschallung den jungdynamischen Wirtschaftsfundamentalisten-Jargon einfach nicht mehr ertragen können. Und daß das so hoffnungsvoll begonnene Unternehmen, die Kirche in eine Firma umzuwandeln, die mit Beheimatung handelt und damit Marktführer in der Wellness-Branche werden will, eventuell fehlschlägt, weil gerade solche Kunden, die Beheimatung auf einer Beheimatungsebene suchen, nicht ausgerechnet dahin gehen, wo in Kompetenzzentren Führungskräfte voller kommunikativer Kompetenz unter Einsatz moderner Führungsinstrumente immerzu auf sie einkommunizieren, daß sie doch bittschön aufgabenorientiert ihr Qualitätsbewußtsein erhöhen sollen, am besten mit einer Qualitätsoffensive. Daß diese Kunden also den Geist, die Farbe und den Klang des anstehenden Mentalitätswechsels (S. 101) nicht so recht als das erkennen können, was sie in einer Kirche erwarten. Mein Vorschlag an die EKD wäre, den sicher notwendigen Veränderungsprozeß nicht ausgerechnet solchen Mitarbeitern anzuvertrauen, die durch Talent und Neigung zum Kaufmannsberuf bestimmt waren, aber von einem gnadenlosen Vater zum Theologiestudium gezwungen wurden.“ (Zitat Ende)

Solche und andere Reaktionen machen deutlich, dass sich die Kirche hier mit einer ihr fremden Begrifflichkeit auch eine ihr fremde Denkweise eingefangen hat. Dies macht auch der Begriff „Agendasetting“ (KdF, S. 85) deutlich. Die Kirche wolle mehr als bisher gesellschaftlich relevante Themen in den gesamtgesellschaftlichen Diskurs einbringen („Themenmanagement“). Das geht natürlich nur von oben nach unten. Das ist ein Beispiel für die Filialisierung der Gemeinden, die dann unten das mit ihren Mitgliedern (oder sollen wir Kunden sagen?) kommunizieren und machen sollen, was sie von oben vorgegeben bekommen. Hier haben wir sie: Die Ortsgemeinde als Filiale der Kirchenleitung einer Landeskirche, bzw. der EKD.

Dabei wird doch theologisch und folgerichtig auch strukturell in der Kirche nur umgekehrt ein Schuh draus. Kirche Jesu Christi ist dort, wo Menschen um Kanzel, Altar und Taufstein (CA VII) versammelt sind. Die Ortsgemeinde ist der Grundbaustein unserer Kirche und was darüber ist, ist Dienst und hat auch nur als Dienst seine Existenzberechtigung. Dienst, der dafür sorgt, dass die Ortsgemeinden ihre Aufgaben erfüllen können. Was sie dafür brauchen, wissen sie selbst am besten.

3. Das Prinzip der medialen Präsenz als Qualitätsmerkmal kirchlicher Aktivität.

Das ist in dem gerade Gesagten schon angeklungen. Mediale Präsenz ist nicht erst seit der Erfindung des Internets eine hoch zeitgeistige Angelegenheit, die tief in unser Selbstverständnis eingreift. Prüfen Sie sich selbst: Einmal in der Tagesschau erwähnt werden; einmal groß in der Zeitung stehen; einmal so viele Facebookfans haben wie Justin Bieber; einmal einen Nachruf im Spiegel kriegen – aber bitte nicht den kleinen auf der vorletzten Seite, sondern eine Seite extra. Neulich schrieb mir ein Kollege, ich sollte nicht meinen, er halte sich für was Besseres, nur weil er über 1000 Followers bei Twitter und Co hätte, die seine Beiträge interessant finden. Wie kommt er nur drauf? Weil sich die Identität eines Menschen, die Frage, ob ein Mensch recht, richtig, wertvoll – kurz gerechtfertigt – ist, heute in ungekanntem Ausmaß daran entscheidet, welche mediale Aufmerksamkeit er erlangt und welche Spuren er dort hinterlässt.

Folgerichtig ist auch in der Kirche die mediale Präsenz zunehmend zum Qualitätsmerkmal, sprich zur Rechtfertigung kirchlicher Arbeit geworden. Als kürzlich in Wiesbaden ein Pfarrer einen „erotischen Gottesdienst“ ab 16 ankündigte, in dem er auch schlimme Wörter in den Mund nehmen wollte, war das dem Evangelischen Pressedienst eine Meldung wert und Spiegel Online schickte einen Reporter hin. Um die „Zärtlichkeit Gottes“ zu preisen spielte die Orgel „Love me tender“. Schlimme Wörter nahm er dann doch nicht in den Mund, was die Sache zu einem gelungenen Event machte, für das sicher schon ein kirchlicher Innovationspreis bereitsteht, auch wenn das Fazit des Reporters lautete: „Insgesamt herrschte mehr Esoterik als Erotik.“ Was für ein Fazit eines evangelischen Gottesdienstes!

Wohlgemerkt, auch ein Apostel Paulus wollte den Juden ein Jude sein, den Schwachen ein Schwacher. „Ich bin allen alles geworden“, schreibt er im 1. Korintherbrief (9,19 ff.). Aber er tut das nicht für die „Gefällt mir“- Angabe, nicht, um den Beifall möglichst vieler in möglichst vielen Milieus zu erhalten. Er macht sich mit niemand gemein im Modus der Arschkriecherei. Er sucht den Anknüpfungspunkt, um Menschen für das Evangelium zu gewinnen. Deshalb widersteht er einem Petrus in Antiochia ins Angesicht (Galater 2,11 ff.). Denn hier gilt: Eine Kirche, die sich den fremden Konventionen und den Rechtfertigungszusammenhängen der sie umgebenden Welt ergibt, um den Beifall, die Anerkennung und die Aufmerksamkeit möglichst vieler zu erhalten – eine solche Kirche ruiniert sich und macht sich dem Erdboden gleich. Sie darf die Inhalte und Artikel nicht schuldig bleiben, mit denen sie steht und fällt. Sie muss dafür Sorge tragen, dass von der „Kommunikation des Evangeliums“ am Ende nicht nur Kommunikation übrigbleibt. Das ist zu wenig.

Noch einmal Isolde Karle: „Die eigentliche Krise der Kirche ist nicht eine Finanz-, sondern eine theologische Orientierungskrise. Was hat die Kirche Menschen in der modernen Gesellschaft zu sagen? Wie lässt sich theologisch substantiell und zugleich existentiell relevant von Gott reden, von Kreuz und Auferstehung, von Sünde und Vergebung, von Gnade, Liebe und Gerechtigkeit? Wie beheimaten sich Menschen im christlichen Glauben? Hier liegt die eigentliche Herausforderung, der sich Theologie und Kirche stellen müssen.“ (Isolde Karle a.a.O)

Hoffnungszeichen heißt mein letzter Punkt.

Im Zuge der Verabschiedung eines Gesetzes über besondere Gemeindeformen hat die bayerische Landessynode einstimmig auch die Kirchenverfassung geändert. Wo vorher eher schwammige Formulierungen standen, steht jetzt glasklar: „Artikel 20: In der Kirchengemeinde verwirklicht sich Kirche Jesu Christi im örtlichen Bereich.“ Und in Artikel 37 heißt es: „Dem Auftrag der Kirche Jesu Christi dienen auch besondere Gemeindeformen, Gemeinschaften besonderer Frömmigkeitsprägung, Kommunitäten und geistliche Gemeinschaften, sowie Einrichtungen und Dienste.“

Am 19. August 2012 predigte der bayerische Landesbischof Bedford-Strohm anlässlich des 70. Geburtstags seines Lehrers Wolfgang Huber in Berlin und sagte in seiner Predigt Folgendes:

„Es gibt keine tragfähigere Grundlage für Gelingen als die Dankbarkeit für geschenkte Freiheit. Aus dieser Perspektive heraus ist die aus bestimmten Unternehmensberatungskonzepten stammende gesellschaftliche Tendenz problematisch, nach der Erfolg vor allem oder gar allein auf Qualitätskontrolle fußt. Im Namen der Bekämpfung des Schlendrians tritt an die Stelle der Freiheit die Kontrolle. Nicht das Zutrauen in Kompetenz und Engagement der Mitarbeiter gibt den Ton an, sondern das Misstrauen. Der Nachweis über die Qualität der eigenen Arbeit stiehlt der echten Arbeit die Zeit. Der ständige Zwang zur Beweisführung über die Qualität der eigenen Arbeit wird zum Gift für die Arbeitsatmosphäre. Es tut den Unternehmen nicht gut, es tut den Universitäten nicht gut. Und es täte ganz bestimmt der Kirche nicht gut, wollten wir auf diesen Zug aufspringen. … Lasst uns die Kirche verändern! Lasst uns ihre Ausstrahlungskraft erneuern! Lasst uns das Evangelium so weitersagen, dass die Welt es hört! Aber lasst es uns aus der Leidenschaft und Begeisterung heraus tun, die die Freiheit eines Christenmenschen mit sich bringt. Alle Instrumente der Motivation, alle Methoden der Mitgliedergewinnung und –bindung, alle Personalentwicklungsprogramme für unsere Pfarrerinnen und Pfarrer werden schal und sind am Ende kontraproduktiv, wenn sie zur Hauptsache werden und sich nicht mehr nähren aus der geschenkten Freiheit.“

Landesbischof Bedford-Strohm hat uns für 2014 in Aussicht gestellt an unserem jährlichen Aktionstag teilzunehmen. OKR Dr. Hübner, der das Gemeindereferat im Landeskirchenamt in München leitet, nimmt regelmäßig an unseren Aktionstagen teil, spricht ein Grußwort und beteiligt sich an der Diskussion. Wir stehen mit ihm in einem konstruktiven Dialog. Er ist im Moment dabei, seine Zusage einzulösen, ein alternatives Finanzierungsmodell für die bayerischen Ortsgemeinden anhand eines Probedekanats durchzurechnen zu lassen. In diesem Modell, das wir vorgeschlagen haben, landet das durchschnittliche Kirchensteueraufkommen pro Gemeindeglied nicht zuerst in München, sondern bei den Ortsgemeinden, die dann 20% für übergemeindliche Aufgaben abgeben.

In einem solchen Modell würde die Eigenverantwortung der Kirchengemeinden für alle ihre Angelegenheiten und Aufgaben von der Verkündigung über das Personal bis zu den Bauangelegenheiten steigen. Aus von oben betreuten Gemeinden werden Beteiligungsgemeinden, die den Weg der Kirche vor Ort bewusst selbst gestalten. Genau das ist es, was wir wollen. Weil wir den Ortskirchengemeinden und nicht zuletzt dem Heiligen Geist in der Kirche mehr zutrauen, als jeder zentralen Organisation und Planwirtschaft. Dieses Zutrauen wünsche ich mir für die ganze Kirche und auch Ihnen vom Freien Forum Ortsgemeinde in der Nordkirche. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

Artikel als PDF: https://www.aufbruch-gemeinde.de/download/Hamburg12.09.01.pdf

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