Aus: „Die christliche Kirche ist die Gemeinde…“ (Barmen III) – Das Impulspapier der EKD und das evangelische Kirchenverständnis. (Vortrag von Prof. Dr. Eberhard L. J. Mechels, Wangerooger Straße 14, 26810 Westoverledingen-Ihrhove, am 16. März 2013 in Erfurt)
Deutliche Indikatoren der hier beschriebenen Gesamtintention des Impulspapiers (Kirche der Freiheit) und seiner Befürworter sind die abschätzigen und z. T. diskriminierenden Termini und die Charakterisierungen, mit denen die Wirklichkeit unserer Gemeinden und die Arbeit der in ihnen tätigen Pfarrerinnen und Pfarrer beschrieben wird. Indikatoren sind ebenso die übersteigerten Anforderungen und Erwartungen an beide. Diese lassen befürchten, dass die Latte so hoch gelegt wird, dass es fast unvermeidlich ist, darunter durchzulaufen. Und, wenn das Reformprogramm bis 2030 nicht den gewünschten Erfolg haben sollte („Wachsen gegen den Trend“), dann weiß man schon, wer schuld ist. Der Imperativ der ständigen Steigerung kann sich ruinös auswirken. „Spätestens mit dem Reformpapier der EKD ist dies auch schriftlich dokumentiert“, dass der Druck auf die PfarrerInnen verstärkt wird, „ihre Kompetenzen zu steigern, um den Trend des Mitgliederverlustes umzukehren (…).“ Das Bild eines idealen Pfarrers/einer idealen Pfarrerin ist implizit prägend, wenn alles zusammen erwartet wird: theologisch und rhetorisch qualifizierte Predigt, liturgisch präsente Gottesdienstgestaltung, sensible und spirituell animierte Seelsorge, religionspädagogisch ansprechende Bildungsarbeit, glaubwürdiges diakonisches Engagement, erfolgreiches Fundraising, kompetente Leitung und Verwaltung, künstlerisch-ästhetische Sensibilität im Umgang mit dem Kirchenraum, professionelle Öffentlichkeitsarbeit und vielleicht noch mehr als dies.‘ Dieser hohe Anspruch ist nicht zu erfüllen (…) Mit dem im Impulspapier gebetsmühlenartig eingeforderten ‚Mentalitätswandel‘ bei den PfarrerInnen folgt es dem gesellschaftlichen Trend zu ständiger Optimierung, wie Isolde Karle (…) schrieb: ‚Stets muss nach neuen Angeboten gesucht und müssen neue Bedürfnislagen analysiert werden (…) Das Reformpapier ist (…) von einem Innovations- und Steigerungsstress gekennzeichnet, der die Pfarrerinnen und Pfarrer und andere kirchlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf Dauer auslaugen, erschöpfen und frustrieren wird‘.“ Klaus Martin Dober hat in einem sehr erhellenden Aufsatz gezeigt, dass hinter diesem Steigerungsdruck das Rollenbild des Pfarrers, der Pfarrerin als des Unternehmers/der Unternehmerin steckt. Die Strömung, der Sog des Komparativs, der beständigen Steigerung, des Wachstums, der unablässigen Selbstverbesserung folgt der Dynamik der Ökonomisierung aller Lebensbereiche. Es ist der Sog, „sich ständig zu einem anderen zu machen“. Dober formuliert demgegenüber mit Recht die Aufgabe der PfarrerInnen heute „anders anders zu sein.“
Die Negativseite dieses übersteigerten Erwartungs- und Anforderungslevels, des gebetsmühlenartig eingeforderten Mentalitätswandels bei PfarrerInnen ist die Abqualifizierung der tatsächlich im Pfarramt geleisteten Arbeit. „Gegenwärtige Qualitätsmängel gibt es allerdings auch: Wir setzten die Anzahl von Gemeinden, in denen der Pfarrdienst derzeit in unbefriedigender Qualität getan wird, mangels konkreter Daten mit 20 bis 30 Prozent an.“ Dieser gewagten und unbelegten Behauptung, mittels derer sozusagen stehend freihändig „angesetzt“ wird, wird in einem Wettbewerb im Ungefähren nicht weniger wagemutig eine gerüchteweise Steigerung beigefügt: „Von Personalverantwortlichen der Kirchen kam die Rückmeldung, dass unsere Schätzung zu niedrig liege.“ Ähnlich kreativ sind die Verbalisierungskünste im Negativqualifizieren der Gemeindewirklichkeit: „Milieuverengung“ und „Enge“ gehören ebenso zur Gebetsmühle wie „schmoren im eigenen Saft.“ „Es geht in der aktuellen Diskussion mitnichten um eine fehlende Würdigung und mangelnde Aufwertung der Tätigkeit von nichtakademisch ausgebildeten Predigerinnen und Predigern. Es geht vielmehr konkret um die immer unerträglicher werdende Geringschätzung, ja geradezu Verachtung der Theologie und der Arbeit von Theologinnen und Theologen im Gemeindepfarramt. Auf der Synode der Evangelischen Kirche von Westfalen zum Beispiel wird kirchenoffiziell und ohne Widerspruch davon geredet, dass die Streichung von Gemeindepfarrstellen den Gemeinden und Kirchenkreisen zugute komme (…) Nicht mehr die in der alltäglichen Wirklichkeit sehr aufwändige und aufreibende und mit einem hohen Maß an Leidenschaft verrichtete Arbeit der Pfarrerinnen und Pfarrer kommt den Gemeinden zugute, sondern die Abschaffung ihrer Stellen. Wann ist je so abfällig und entwürdigend über diesen Berufsstand geredet worden.“
Lesen Sie hier den gesamten Vortrag im Pfälzischen Pfarrerblatt: http://www.pfarrerblatt.de/text_443.htm