Warum „Gemeinde“?

Praktisch – theologische Thesen

Von Dr. Dietrich Stollberg

  1. Die Betonung der Gemeinde gegenüber der Landeskirche als Hauptgröße der kirchlichen Organisation empfinden manche, vor allem aber Vertreterinnen der „Kirchenleitung“ als Infragestellung dessen, was Kirche sei. Das ist aber nicht so, sondern es betont den Hauptaspekt christlichen Zusammenlebens gegenüber Tendenzen einer konventionellen Verwaltungsstruktur, sich zu verselbständigen.

    (Man könnte einen Aspekt des Problems auch politisch exemplifizieren: Exekutiven haben immer die Tendenz zur autokratischen und bürokratischen Legislative zu werden, weil sie über die Informationen verfügen, die der demokratisch — parlamentarischen (synodalen) Legislative nur partiell und allmählich zur Verfügung stehen und obwohl sie eigentlich als Organ der vorgeordneten demokratischen Legislative geschaffen wurden. Demgegenüber muss von Zeit zu Zeit die „Legislative“ die „Exekutive“ „zurückpfeifen“ oder jedenfalls in Frage stellen und ihre demokratische Souveränität betonen und in Anspruch nehmen.)

  2. Kirche ist als Gemeinde und nicht als Landeskirche entstanden.
  3. Die ersten Gemeinden waren selbständig, ob sie nun in Jerusalem und Palästina oder anderswo im römischen Reich und in der hellenistischen Kultur existierten.
  4. Der Kontakt zwischen diesen Gemeinden erfolgte über Briefe und persönliche Boten, nicht durch eine Überstruktur.
  5. Kirche als Institution mit einer hierarchischen Organisationsstruktur und Gemeinden als Substrukturen hat sich erst durch die Entstehung der spätrömischen Staatskirche entwickelt.
  6. Im abendländischen Mittelalter sind Staat und Kirche bzw. politische und christliche Gemeinde weitgehend identisch, auch wenn es zwischen Kaiser und Papst, Reich und Kirche immer wieder Auseinandersetzungen um die Macht gibt. (Man denke auch noch an Luthers Zwei – Regimenten – Lehre!)
  7. Mit der Säkularisierung werden politische und kirchliche Strukturen wieder getrennt.
  8. Es entwickelt sich eine kirchliche Parallelstruktur zu staatlicher Organisation.
  9. Dies muss man als eine kompromisslastige Übergangserscheinung betrachten.
  10. Christliche Gemeinden werden im 20. und 21. Jahrhundert allmählich selbständiger und als selbständige Anbetungsgemeinschaften mündig.
  11. Die institutionellen Parallelstrukturen zum Staat erweisen sich als hinderlich für eine mündige Gemeinde.
  12. Dennoch müssen Organisationsformen gefunden werden, welche einerseits die Selbständigkeit der Gemeinden nicht in Frage stellen, sie andererseits vor der Gefahr einer kongregationalistischen Isolation bewahren.
  13. Auf jeden Fall steht eine Strukturdebatte mit praktischen Konsequenzen für ein neues Verhältnis von Landeskirche und Gemeinden an.
  14. Das Forum „Aufbruch Gemeinde“ will auf diese Notwendigkeit hinweisen und erste Schritte in der Praxis wagen.

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