Newsletter März 2022

Landesstellenplan


Der Landesstellenplan beschäftigt derzeit und wahrscheinlich noch lange unsere Gemeinden, Dekanate
und Landeskirche in vielen Sitzungen, Absprachen, Vereinbarungen usw. Sich gemeinsam auf den Weg
machen, die Zukunft planen, über den eigenen Kirchturm hinausschauen, Kooperationen bilden ist im
Blick auf die Entwicklung der Zahlen in unserer Kirche sinnvoll und gelingt in manchen Teilen unserer
Landeskirche in Bayern gut. Viele Gemeinden jedoch leiden unter der gegenwärtigen Situation und

richten Hilferufe an uns im Gemeindebund. Auf der einen Seite ist es die viele Zeit, die der LStPl in un-
zähligen Sitzungen, Synoden und Ausschüssen erfordert. Auf der anderen Seite sind es Trauer und

Schmerz, manchmal auch Zorn über eine nicht enden wollende Spirale der Frustration: die deprimie-
renden Prognosen über schwindende Einnahmen und gewaltige Personallücken, die erfolgten Stellen-
kürzungen, das Aufbrechen gewachsener Gemeindestrukturen, die Infragestellung heimatgebender

Immobilien und schließlich die zeitnah drohenden weiteren Runden von Kürzungen, Einschränkungen
und Belastungen. Wir haben den Eindruck, dass gar keine Zeit mehr bleibt, Wunden zu versorgen, weil
immer neue aufgerissen werden. Einige – und das sind oft sehr engagierte Gemeindeglieder – sind so
sehr enttäuscht, dass sie gehen und der Kirche den Rücken kehren. Die nächsten Kürzungen sind
schon für 2025 und dann wieder für 2030 geplant. Die kirchlichen Gremien beschäftigen sich somit über
Jahre hinweg mit dem Abbruch des kirchlichen Lebens statt mit dem Aufbau.
Es wird doch niemand bezweifeln, dass mit den Stellenkürzungen ein Zurückfahren des kirchlichen
Lebens verbunden sein wird. Einfache Lösungen wird es nicht geben. Aber es muss die Frage erlaubt
sein, ob nicht grundsätzliche Entscheidungen den Prozess des Abbruchs beschleunigen. Letztendlich
konkurrieren zwei Kirchenbilder miteinander, die auch nur bis zu einem bestimmten Punkt miteinander
existieren können. Bei dem einen liegt die Betonung stark auf der Ortsgemeinde als primäre Gestalt der

Kirche. Das andere Kirchenbild– bei aller Beteuerung der Wichtigkeit der einzelnen Gemeinde – akzen-
tuiert stärker die übergemeindlichen Dienste und regionalen Zusammenschlüsse. Niemals wird es ein

Modell in Reinform geben können. Aber in den letzten Jahrzehnten hat sich der Schwerpunkt doch ver-
schoben zu Ungunsten der parochialen Gestalt der Kirche. Der LStPl verstärkt diese Entwicklung. Die

Kürzungen betreffen den sog. Landesweiten Dienst ebenso, allerdings ist schon zu fragen, warum hier

nicht die gleichen Kriterien angewendet werden. Bei den Gemeinden wird die Stellenzahl von der Ent-
wicklung der Gemeindeglieder abhängig gemacht, beim landesweiten Dienst werden die Kürzungen

über finanzielle Einbußen vorgenommen. Der Bedeutungsverlust und manchmal auch die Geringschät-
zung der Gemeinden lässt sich an verschiedenen Parametern ablesen. Die Anzahl der Stellen im lan-
desweiten Dienst ist gewachsen, in den Gemeinden hat sie sich vermindert. Der Anteil an finanziellen

Mittel für die Gemeinden ist in Relation zu den stark gewachsenen Kirchensteuereinahmen (uns liegen
die Zahlen von 2019 vor) gesunken. Pfarrerinnen und Pfarrer im landesweiten Dienst (jetzt machen wir
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uns viele Feinde) sind in der Regel vom Religionsunterricht befreit. Natürlich gibt es Stellen, bei denen
solch eine Regelung sinnvoll ist. Aber eine grundsätzliche Befreiung ist doch zu hinterfragen.1
Warum sich der Gemeindebund für die Stärkung der Ortsgemeinde einsetzt, haben wir in vielen
Newslettern sowohl theologisch wie auch soziologisch begründet. Eine Stimme soll das ergänzen. Prof.

Gerhard Wegner, ehemaliger Direktor des Sozialwissenschaftlichen Instituts der EKD äußert sich fol-
gendermaßen: „ Ihre Bedeutung (der Kirchengemeinde) bleibt auf jeden Fall hoch – höher als alle Akti-
vitäten aller anderen kirchlichen Arbeitsbereiche… Schwächt man die Kirchengemeinde, so schwächt

man damit, das zeigen viele Erfahrungen, ehrenamtliches Engagement und damit den Kern protestanti-
scher Kirche.“2

Warum, so fragen wir, fließen all diese wissenschaftlichen Ergebnisse z.B. der letzten Kirchenmitglied-
schaftsuntersuchung nicht oder nur marginal in die Prozesse unserer Landeskirche ein. Unvoreinge-
nommen sollte man einmal die verschiedenen Reformbewegungen in den letzten Jahrzehnten untersu-
chen. Was haben sie gebracht? Bei der Austrittsquote der 19 Landeskirchen steht 2020 die Evangeli-
sche Kirche in Bayern prozentual an 3.Stelle hinter der Nordkirche und Hessen-Nassau.3

In allen drei

Kirchen wurden Reformstrukturen durchgeführt oder begonnen.4

Keiner wird abstreiten, dass die Bindung an die Kirche sehr viel mit Nähe, Beziehung, also mit Begeg-
nung zu tun hat. Brot und Wein lässt sich nicht auf dem Dienstweg teilen und der Taufstein steht in ei-
ner Gemeinde. Die Nähe zu den Menschen als Ziel einer zukunftsfähigen Kirche wird landauf landab

laut und deutlich beschworen. Nur die daraus resultierenden Maßnahmen werden zu halbherzig umge-
setzt.5 Die „Beispieldienstordnung“6 setzt 3% (!) der Arbeitszeit einer Pfarrerin, eines Pfarrers im Jahr

für Seelsorgebesuche an. Die Nähe zu den Menschen geht verloren, wenn ältere, sozial schwächere,
nicht mobile Gemeindeglieder keinen Zugang zum Gemeindeleben mehr haben, weil sie keinen Besuch

bekommen und nicht in der Lage sind einen weiten Weg zu einem Gottesdienst oder zu einer kirchli-
chen Dienststelle zu bewältigen. Dass aber die Kirche gerade für diese Menschen eine besondere Ver-
antwortung hat, lässt sich biblisch gut begründen.7 Kirchengemeinden sind Anwältinnen der einzelnen

hilfsbedürftigen und aus dem gesellschaftlichen Leben herausgefallenen Menschen. Die Gemeinden
begegnen den Armen, Kranken etc. in unmittelbarer Nähe, von Angesicht zu Angesicht. Sie können
nicht von der Harmonie des Ganzen her denken, in der Einzelne als Opfer zu leicht unsichtbar werden.

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1 Wenn Gemeindepfarrerinnen und Gemeindepfarrer auf Grund hoher Arbeitsbelastung auf Antrag
weniger oder keinen Religionsunterricht geben, wird ihnen ein nicht unwesentlicher Teil des Gehaltes
gestrichen!
2 Korrespondenzblatt 2/ 20, 28f
3 https;//www.kirchenaustritt.de/statistik
4 Forschungen zeigen deutlich, dass Austritte sich entscheiden an der Frage, ob ich in meiner
Ortsgemeinde eine Heimat für meinen Glauben finde oder nicht.
5
In dem Papier „Profil und Konzentration“ heißt es: „…dass die Kirche heute verstärkt dorthin gehen
muss, wo die Menschen leben“.
6 Gut, gerne und wohlbehalten arbeiten. Handreichung für die Erstellung von Dienstordnungen für
Pfarrerinnen und Pfarrer der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, S.28ff)
7 Nur nebenbei: während der Pandemie hat eine Pfarrrein gerade die Hochbetagten besucht,
manchmal war ein Gespräch nur an der Tür oder durch das Fenster möglich. Für einige war das der
einzige Kontakt seit langer Zeit.

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Die befürchtete Entwicklung der Zahlen in unserer Kirche zwingt dazu, Prioritäten und Nachrangigkeiten

zu setzen. Wir sind der Auffassung, dass die Ehrenamtlichen nicht mehr belastet werden können – we-
der in der Übernahme vermehrter Aufgaben noch in unzähligen Sitzungen, die weitere Kürzungen be-
schließen müssen. Eine depressive Grundstimmung ist schon jetzt bemerkbar und wird sich verstärken,

wenn über Jahre hinweg, der Abbruch des kirchlichen Lebens verhandelt wird. Auch die Hauptamtli-
chen dürfen nicht überfordert werden, wenn ein immer größerer Arbeitsbereich zu bewältigen ist und

eine Vermehrung der Gremienarbeit droht. Die Attraktivität des Pfarrerberufes leidet darunter und wird
das Nachwuchsproblem verschärfen.
Wäre es nicht an der Zeit, die Grundstrategie kirchlichen Handelns neu zu überlegen und nicht in den
alten, konservativen, seit Jahrzehnten gängigen Mustern zu bleiben: Die Ortsgemeinden stärken als das

Herz, die Keimzelle der Kirche. Das würde im Blick auf den LStPl bedeuten, dass keine Stelle in Kir-
chengemeinden gekürzt würde. Das fehlende und in Zukunft noch vermehrt fehlende Personal könnte

durch eine Vakanzregelung aufgefangen werden. Das gab es schon einmal in unserer Landeskirche.
Statt einer 10%igen Kürzung der Stellen eine 10%ige Vakanzregelung in allen Dekanaten und ebenso
in übergemeindlichen Stellen. Allein die Zeit, die durch die nicht notwendige Gremienarbeit eingespart

werden könnte, ist ein großer Gewinn, was den Menschen zugutekäme. Die Vakanzen würden wech-
seln und keine Gemeinde ist für immer ohne Pfarrerin oder Pfarrer. Die kirchlichen Finanzen, die Ver-
waltungsorganisation, kirchliche Einrichtungen und Dienststellen usw. – alles müsste auf den Prüfstand.

Bei aller Diskussion, bei aller Auseinandersetzung über den richtigen Weg der Kirche geht es allen da-
rum, dass das Wort Gottes, das Evangelium unter die Leute kommt. Die Auffassung des Gemeinde-
bundes, für die wir uns einsetzen und auch in guter protestantischer Tradition streiten, deckt sich mit

einem wunderbaren aus den lateinamerikanischen Kirchen stammenden Sprichwort: “Das universale
Wort spricht nur Dialekt“.

Dr. Gerhard Schoenauer, Dekan i.R., 1. Vorsitzender des Gemeindebundes V.i.S.d.P.
Karl-Friedrich Wackerbarth, Pfarrer, 2. Vorsitzender des Gemeindebundes, Landessynodaler

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