„Ja, mach nur einen Plan …!“

Prof. Christian Möller fragt in diesem Vortrag nach dem Zusammenhang, bzw. Widerspruch von evangelischer Spiritualität und aktuellen Versuchen die Zukunft der Kirche zu planen.

Überlegungen zur Beziehung von Spiritualität und Zukunftsfähigkeit

Welche Konsequenzen haben diese Überlegungen zu einer reformatorischen Spiritualität für die Frage nach der Zukunftsfähigkeit des Menschen wie auch der Kirche? Anders gefragt: Wie werde ich mit Hilfe von reformatorischer Spiritualität fähig, die Frage nach meiner Zukunft oder nach der Zukunft der Kirche oder auch nach der Zukunft dieser Welt anzugehen? Und wie sieht demgegenüber ein funktionaler Umgang mit Zukunft aus? Es ist der uns vertraute und meist auch von uns selbst geübte futurische Umgang mit Zukunft: Aus dem gegenwärtigen Zustand heraus prolongiere ich Trends in die Zukunft und erkenne dann, wie ich meine gegenwärtigen Pläne anlegen muss, damit ich zukunftsfähig werde. So hat etwa die EKD schon 1986 Hochrechnungsstrategien angestellt, die auch im neusten Impulspapier von 2006 wieder auftauchen, es gebe im Jahr 2030 ein Drittel weniger evangelische Kirchenmitglieder. Mein Heidelberger Kollege Michael Welker rechnete nach derselben Logik weiter und fand heraus, das dann in 100 Jahren alle evangelischen Christen verschwunden sind und in 150 Jahren alle Deutschen. „Würde man den Zeitraum (sc. der Hochrechnung) deutlich verkürzen, unterbliebe die Sensation der Hochrechnung. Würde man den Berechnungszeitraum aber verlängern, so verlöre sich die Plausibilität und die Hochrechnung der EKD würde als reine Spekulation offensichtlich“. Stattdessen schlug Welker vor, die Kirche solle sich doch lieber auf die Fragen und Enttäuschungen der Menschen heute konzentrieren und die Menschen aufsuchen, die heute die Kirche verlassen, um mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Viele von ihnen sind ja ausgetreten, weil niemand sie jemals aufgesucht hat.

Im Grunde gab Welker nur zu bedenken, was der barocke Dichter Andreas Gryphius in dem Vierzeiler reimte:

„Mein sind die Jahre nicht, die mir die Zeit genommen.
Mein sind die Jahre nicht, die etwa möchten kommen.
Der Augenblick ist mein und nehm ich den in Acht,
so ist der mein, der Zeit und Ewigkeit gemacht.“

Das klingt so einfach und wird sogar noch einfacher, wenn wir uns an den Satz der Bergpredigt erinnern: „Es ist genug, dass jeder Tag seine eigene Plage hat. Darum sorgt nicht für morgen“ (Mt 6,35). Mit dem Tag, der seine eigene Plage hat, ist der Augenblick gemeint, den ich in Acht zu nehmen habe. Ich hätte genug damit zu tun und würde tatsächlich heute leben, um geistesgegenwärtig das zu tun, was mir in die Hand oder vor die Haustür gelegt ist. Ich würde die Lilien auf dem Feld sehen, die heute blühen, und ich würde die Vögel unter dem Himmel in ihrer Leichtigkeit heute wahrnehmen.

In diesen den futurischen Umgang mit Zukunft karikierenden Überlegungen blitzt ein anderer Umgang mit Zukunft auf, den ich den adventlichen Umgang nenne. Zukunft wird hier das, was sie schon rein sprachlich ist: das, was uns zukommt. „Trachtet zuerst nach dem, was euch als Reich Gottes zukommt, so wird euch das andere alles zufallen“(Mt 6,34), sagt Jesus in dem schon angesprochenen Kapitel der Bergpredigt. Wie sieht ein Mensch aus, der diesen Umgang mit Zukunft als dem uns Zukommenden praktiziert? Der dänische Denker Sören Kierkegaard, der sich diesem Kapitel der Bergpredigt in seinen Religiösen Reden wieder und wieder zugewandt hat, umreißt das Bild eines Ruderer, der sich dem Ziel entgegenarbeitet, indem er ihm den Rücken umgekehrt hat. Dagegen könne es einen Menschen nur zerstreuen, wenn er jeden Auenblick ungeduldig nach dem Ziel sehe. „Nein, sei für ewig und im Ernst entschlossen, so wendet du dich ganz deiner Arbeit zu und dem Ziel den Rücken. So ist man gestellt, wenn man ein Boot rudert, und so ist man gestellt, wenn man glaubt. Der Glaube wendet dem Ewigen den Rücken zu, um es gerade an dem heurigen Tag bei sich zu haben.“ Kierkegaard gibt freilich weiter zu bedenken: „Wie selten ist doch ein Mensch, der wirklich gleichzeitig ist mit sich selbst; die meisten sind in Gefühl, in Einbildung, in Vorsatz, in Entschluss, in Wunsch, in Sehnsucht…hunderttausend Meilen sich selbst voraus“. Der Gläubige (ich könnte auch sagen: der Spirituelle) sei jedoch der Gegenwärtige. Er sei, wie Kierkegaard fortfährt, „im höchsten Sinn des Wortes gleichzeitig mit sich selbst. Und das sei auch das am meisten Bildende und Entwickelnde. Es ist, so füge ich hinzu, auch das wahrhaft Zukunftsfähige, denn nur der ist wirklich der Zukunft fähig, wer den Augenblick in Acht nimmt und ihn geistesgegenwärtig gestaltet, weil er die Zukunft als Gottes Zeit kommen lässt, die dem Menschen und seinen Zukunftsplänen nicht verfügbar ist.

Zu dieser Art von „Zukunftsfähigkeit“ gehört auch ein Planen, Gestalten und Rechnen mit der Zukunft, das nicht im Zeichen der Sorge um die Zukunft steht, sondern den Charakter von täglicher, alltäglicher Besorgung hat. Paulinisch gesprochen kommt nun vor das Planen, Machen und Gestalten ein neues Vorzeichen: „als ob nicht“ (1 Kor 7,29ff.). Ich höre dieses Vorzeichen, wenn es in Bert Brechts Dreigroschenoper heißt:

„Ja, mach nur einen Plan
sei nur ein großes Licht
und mach dann noch `nen zweiten Plan,
gehen tun sie beide nicht.“

Diese Ironie macht das Planen nicht überflüssig, sondern nur viel leichter, spielerischer und viel weniger verbissen. Im Wahrnehmen des Augenblicks schaue ich danach, welche Möglichkeiten mir jetzt gegeben sind, um z.B. einen Haushaltsplan aufzustellen oder gar einen Personalentwicklungsplan. „Ja, mach nur einen Plan“, aber sei dir bei deinem Plan selbstkritisch klar, wie wenig du die Zukunft in der Hand hast, und wie sehr die Zukunft Gottes Zeit ist. Das aber, was dir jetzt in die Hände gelegt ist, sollst du planen und gestalten, und zwar mit der realistischen Einstellung, die aus Jesu Anweisung zum Turmbau spricht: „Wer ist unter euch, der einen Turm bauen will und setzt sich nicht zuvor hin und überschlägt die Kosten, ob er genug habe, um es auszuführen“(Lk 14,28). Das eben tun die Turmbauer von Babel nicht. Sie sind Himmelsstürmer, die in Gottes unverfügbare Zeit maßlos eingreifen. Solche futurische Zukunftspläne aber werden allemal von Gott belächelt und alsbald in heillose Verwirrung verstrickt, wie der weitere Gang der Turmbaugeschichte in Babel zeigt.

Warum ist dennoch der adventliche Umgang mit Zukunft so schwer? Warum sind sich, wie Kierkegaard sagt, so viele Menschen hunderttausend Meilen in Gefühl, in Einbildung, in Vorsatz, in Entschluss und Sehnsucht voraus? Hier komme ich noch einmal auf das zurück, was die Bibel „Sünde“ nennt, jetzt aber in der Gestalt, wie sie der Mythos vom Sündenfall in Gen 3 beschreibt: „Ihr könnt sein wie Gott“, zischelt die Schlange dem Menschen zu. Das hört sich dramatisch an, geht aber viel leiser und selbstverständlicher vor sich, wenn Menschen sein wollen wie Gott, indem sie sich die Zukunft als Gottes Zeit anmaßen und verplanen. Dann entstehen 5-Jahres-pläne, 7-Jahres-pläne und gesungen wird: „Mit uns geht die neue Zeit!“ So geschah es in der sozialistischen Planwirtschaft der DDR, die von der Heilsparole geprägt war: „Die Zukunft gehört uns!“ Am Ende steht das viel zitierte Sprichwort Gorbatschows von 1989: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben!“ So wird es nicht nur der DDR ergehen, sondern im Grunde jedem, der die Zukunft in den Griff zu nehmen versucht und sich selbst in der Planung weit voraus ist, sei es bis ins Jahr 2017 oder bis ins Jahr 2030 oder auch nur mit der Vorausplanung eines Jahres: Er oder sie werden am Ende zu spät dran sein und vom Leben bestraft werden.

Lesen Sie hier den ganzen Vortrag … (PDF)

Schreibe einen Kommentar