Der Virus des Besonderen

Wer mit dem Auto übers Land und über Autobahnen fährt, erfährt dabei viel Neues. Schilder zum Beispiel sagen, was diese Stadt, auf die man zufährt, so ganz besonders auszeichnet. Erlangen z.B., das ist die Medizin- und Universitätsstadt. Fürth, gleich neben dran, die Denkmalstadt. Das kleine Buttenheim in Richtung fränkische Schweiz, ist die Jeans-Gemeinde, stammt doch aus dieser Gemeinde der Erfinder der Jeans, Levi Strauss. Und das mittelfränkische Neuendettelsau ist, dank Wilhelm Löhe, die Stadt von Diakonie und Mission. Fast jeder Ort hat etwas Besonderes, das er den Besuchern und Vorbeifahrenden unbedingt mitteilen muss. Kein Ort ist einfach mehr ein Ort, jeder Ort ist etwas ganz Besonders, hat ein besonders Profil. Die Orte Bayerns und darüber hinaus ein Sammelsurium von Besonderheiten. Einfach so Gemeinde sein, das gibt´s nicht mehr.

Der neue Doppeljahrgang der Studierenden kommt. Die junge Generation sucht gezielt. Ging man früher an eine Universität in der Nähe oder Ferne, um die Welt zu erkunden, so gibt es heute neue Kriterien, neue Wege. RankingListen sind gefragt, Elite-Universitäten bieten sich an, Sonder-Studiengänge mit impliziter Karriereplanung stehen hoch im Kurs. Die besondere Universität sollte es sein, der exquisite Studiengang. Und wer an einer Normalo-Fak studiert, ist schon der Dumme. Das Studieren als Erwerb von Grundbildung, ein solides Grundstudium, wer will das schon? Und bei diesem Trend zum Besonderen, da möchte die Kirche nicht zurück stehen. Die EKD-Studie „Kirche der Freiheit“ ist hier ein anschlussfähiges Denk-Papier für die Kirche von morgen. Das Besondere ist Programm geworden. Gleich 12 herausragende Leuchtfeuer, Brennpunkte des evangelischen Geistes in postmodernen Finsternissen werden entzündet. Kompetenzzentren werden gegründet, besonderen Kirchen in der EKD eine profiliert-profilierende Schlüsselfunktion zugeschrieben. Die Stuttgarter Stiftskirche wird zur Missionskirche – und das findet sich dann bald auch auf den Ortsschildern: Sie erreichen Stuttgart, schwäbische Metropole, Deutschlands Missionskirche.

Dass aus den Leuchtfeuern mittlerweile Strohfeuer geworden sind, hat die Zukunftswerkstatt der EKD in Kassel 2009 gezeigt. Ob allerdings die dabei anfallende Asche zur Buße verwendet wird, ist offen, man müsste daraus erst ein neues Kompetenzzentrum machen. Der Trend zum Besonderen ist – ob Stadt, Uni oder Kirche – immer wieder verbunden mit dem Stichwort des Profils, der Idee der Profilierung, die herausheben soll aus dem Üblichen und dem Allgemeinen, die mediale Aufmerksamkeit und Marktanteile gewinnen soll. Letztlich ist der Trend zum Besonderen ein Marketing-Konzept. Der Blick geht auf die Spitze, auf die Spitzenprodukte und auf Personen an der Spitze. Und das soll sich auszahlen. Vermutlich tut es dies auch, in gewissem Umfang werden wohl mehr Leute „die“ EKD-Kirche für Friedens- und Versöhnungsarbeit in Dresden besuchen (damit sind andere Kirchen von der Friedensarbeit entlastet und können sich den Versöhnungsdienst sparen). Aber es kostet auch etwas: Gelder, Ideen, Kräfte gehen in den Profilierungsprozess – und fehlen vor Ort. Und noch mehr: die Basis, für die ja die Profilierung im besten Fall gedacht ist, um sie zu stärken, verliert weiter an Bedeutung. Oder anders gesagt: es müssen nun auf regionaler und lokaler Ebene nun ebenfalls kleine Leuchtfeuer entzündet werden, um mithalten zu können. Der Virus des Besonderen macht aber bald atemlos und müde.

Und der Virus des Besonderen macht auch vergesslich. Vergessen wird das, was trägt. Die Menschen in einer Stadt interessiert wenig, ob sie in einem touristischen Zentrum leben. Wichtig ist die Grundversorgung mit Wasser und dass der Strom bezahlbar bleibt. Das Ranking der Top-Universitäten schafft Elite-Studierende. Aber die Idee einer soliden Grundbildung für alle, die dann wieder der Allgemeinheit zugute kommt, wird schwächer. Und in der Kirche? Es ist den Kirchgängern wohl herzlich egal, welche Leuchtfeuer leuchten, welche Kompetenzzentren irgendwo stehen, welche Profilierungsprozesse wieder einmal initiiert, welche Imagekampagnen gestartet werden oder ob der Bischof in den Medien ist. Wichtig ist doch viel mehr, dass regelmäßig Gottesdienst gefeiert wird, dass der Konfirmandenunterricht und Religionsunterricht zuverlässig angeboten wird, dass der Pfarrer regelmäßig kommt, und dass es für die Beerdigung einen verlässlichen Ansprechpartner gibt. Gemeinde, das ist ja auch nicht ein Sammelsurium der Superlative in Sachen Menschsein, sondern ist das Miteinander der Normalen, der bunte Haufen, keine menschlichen Highlights, aber das Heilige im Alltäglichen. Und das Pfarramt wäre, wenn man das Wort überhaupt noch möchte, ein Kompetenzzentrum der Normalität. Statt Rennen von Leuchtfeuer zu Leuchtfeuer die Bewährung im Alltäglichen. Volkskirche sagte man früher dazu.

Es wäre schön, wenn etwa eine Landeskirche einen Preis ausschreiben würde, nicht für die beste Gottesdienstidee und nicht für den tollsten Jugendevent, sondern schlicht für die normalste Gemeinde. „Nix Besonderes“ so könnte der Preis heißen. Und das ist zugleich ein hartes Stück Alltags-Arbeit, auch gegen den Trend der Zeit. Und das lohnt sich.

Hans-Jürgen Luibl, Leiter der AEEB, Erlangen
(Korrespondenzblatt, Nr. 11/2010, S. 185 f.)

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