Mich wundert schon, dass eine evangelische Landeskirche, noch dazu lutherischer Prägung, ihr eigenes Handeln, ihre eigenen, die von ihr zu leistenden Werke, derart in das Zentrum ihrer Erneuerungsbemühungen stellt. Aber besteht nicht der grundlegende Auftrag der Kirche zu allererst darin, immer wieder neu Kirche, d. h. Gemeinde Jesu Christi, zu werden?
„Wenn ich die Reformpapiere richtig verstanden habe, so soll an die Stelle eines „verzagten Festhaltens am Vergangenen“ jetzt der „kraftvolle Blick in die Zukunft“ treten. Die Denkbewegung der kirchlichen Arbeit gehe in der Regel „aus, von dem was ist, von dem, wie kirchliche Arbeit jetzt organisiert ist“. Dagegen hat sich die Begleitgruppe zu „Profil und Konzentration“ dafür entschieden, „von der Zukunft her Kirche zu denken“ (Inhaltliche Einführung zur Konferenz der kirchenleiten- den Organe am 10./11. Juni 2016 in Tutzing). Doch ist das die Alternative, ob wir die Kirche von der Gegenwart oder der Zukunft her denken, einer Zukunft zumal, wie wir sie uns ausmalen oder prognostizieren? Müssen wir dagegen nicht immer wieder sehr selbstkritisch die Gestalt und Ausrichtung der Kirche von Jesus Christus her bedenken?
Genau das ist ja mit der so oft und falsch zitierten Formel von der „ecclesia semper reformanda“ gemeint (vgl. meinen Aufsatz in DPfBl 4/2018, 207-210). Dass sich die Kirche gerade nicht den Strukturen und Maßstäben der Welt anzupassen hat, sondern sich, da selbst in den sich wandelnden Zeiten unterwegs, immer wieder neu zurückformen, reformieren, lassen muss in die Gestalt und Form, die Jesus Christus entspricht, darum geht es. Wie das schon im Wirken Jesu, seiner Sammlung der „kleinen Herde“ (Lk 12,32), geschah und dann später in den urchristlichen Gemeinden gelebt wurde, hat Gerhard Lohfink überzeugend dargestellt. („Wie hat Jesus Gemeinde gewollt? Kirche im Kontrast“, Aktualisierte Neuausgabe, Stuttgart 2015). Sein Votum: „Aber offenbar leben viele Christen weit von der Welt der Bibel entfernt. Einer der Grundgedanken der Bibel (…) ist der Gedanke, dass Gott in der Welt ein Volk haben muss (…) Ein Volk gerade um der Welt willen und um über dieses Volk die ganze Welt zu erreichen (…) Um aber Welt verändern zu können, darf sich das Gottesvolk nicht der Gesellschaft anpassen oder sogar ‚Anschlussfähigkeit‘ an die Gesellschaft demonstrieren, sondern muss das Neue leben, das mit Abraham in die Welt gekommen ist und durch Jesus vollendet wurde.“ (S.174)1
Reformierte Christen haben im Heidelberger Katechismus die schöne Frage 54, die sich übrigens ziemlich deutlich an einen Passus im Großen Katechismus Luthers anlehnt (vgl. Bekenntnisschriften der ev.-luth. Kirche, 657,25-38). Da wird gefragt:
„Was glaubst du von der »heiligen allgemeinen christlichen Kirche«?
Die Antwort lautet:
„Daß der Sohn Gottes aus dem ganzen Menschengeschlecht sich eine auserwählte Gemeinde zum ewigen Leben durch seinen Geist und Wort in Einigkeit des wahren Glaubens von Anbeginn der Welt bis ans Ende versammelt, schützt und erhält, und daß ich ein lebendiges Glied derselben bin und ewig bleiben werde.“
Nicht wir, unsere Synoden, Bischöfe, Projektgruppen, Fachabteilungen sind es, die die Kirche „entwickeln“, „bauen“, in die Zukunft führen können. Der Sohn Gottes ist es, der seine Kirche „versammelt, schützt und erhält“. Unser Tun ist an anderer Stelle gefordert. Wie der Sämann in den Gleichnissen Jesu sollen wir das Wort aussäen. Für das Wachsen und Gedeihen ist dagegen ein anderer zuständig. Dies zu wissen und zu glauben, ist eine große Entlastung für alle, die „im Weinberg des Herrn“ tätig sind.“
Prof. i. R. Dr. Gisela Kittel, Detmold
Korrespondenzblatt Nr. 6/2018, S. 139ff. Lesen Sie hier den ganzen Artikel: https://www.aufbruch-gemeinde.de/download/kittel1806.pdf