Ökonomisierung

Ökonomisierung

Unter dem Stichwort „Ökonomisierung“ wird in den letzten Jahren diskutiert, ob sich die Kirche in ihrer Arbeit wirtschaftlicher Methoden bedienen darf und soll. Während die einen diese Methoden für eine rein formale Angelegenheit halten, geben andere zu bedenken, dass sich die Kirche hiermit auch Inhalte zulegt, die ihrer Botschaft wiedersprechen: „Viele der entsprechenden Studien nähern sich geradezu mimetisch an die kundenorientierte Sprache von Service-Unternehmen an, ohne zu reflektieren, dass die Zielorientierung des Religionssystems eine spezifische ist und der Religion die Applikation der ökonomischen Sprache  und Logik nicht äußerlich bleibt, sondern sie immer mehr in den Bann des Ökonomiesystems und seiner Rationalität zieht.“ … „Die Theologie hat für eine sich in diesem Sinn reformierende Kirche vor allem noch legitimierende (nicht steuernde) Funktion, um nicht-theologische und nicht-religiöse Ziele (finanzielle Sanierung) mit nicht-theologischen Instrumenten (Marketing) zu erreichen.“ (Isolde Karle, „Kirche im Reformstress“ Gütersloher Verlagshaus, 2010, S. 108f., 113)

Lesen Sie mehr:  
Anmerkungen zu den Reformpapieren der Landeskirche und der EKDVon Ludwig Trepl (Vortrag vor der Kreissynode Charlottenburg, 24. April 2009) 

Rückblick:
„Evangelium hören“ I, Wider die Ökonomisierung der Kirche und die Praxisferne der Kirchenorganisation – Ein theologischer Ruf zur Erneuerung/ Initiativkreis „Kirche in der Wettbewerbsgesellschaft“, 2. Auflage 1999 

Evangelium hören“ II, „Alles ist nichts“/ Initiativkreis „Kirche in der Wettbewerbsgesellschaft“, Nürnberg, 2000 

Literatur:
Isolde Karle, „Kirche im Reformstress“ Gütersloher Verlagshaus, 2010 (Buch bestellen)
Leseprobe: Zwölf Thesen zur Kirchenreform Anna Stöber, „Kirche – gut beraten? Betrachtung einer Kirchengemeinde aus betriebswirt-schaftlicher und funktionalistisch-systemtheoretischer Perspektive“, Carl-Auer-Systeme, März 2005.
Mehr zum Buch und ein interessantes Interview …


„Es gibt Veränderungen, die sind unvermeidbar. Man muss sie akzeptieren, ja erdulden, auch wenn sie lästig und anstrengend sind. Technische und gesellschaftliche Umwälzungen erfordern neue Antworten. Man muss sich umstellen, wenn ganze Berufszweige wegrationalisiert werden, man muss neu gestalten, wenn neue Grenzen, neue Märkte entstehen. Aber muss man solche Sachzwänge auch begrüßen?

Ich gestehe, dass ich all die Strukturreformen und -reförmchen allmählich lästig finde. Landauf, landab wird verändert, umorganisiert, neu strukturiert und, wie man dann auch meint, „reformiert”. Dabei beruft man sich gerne auf Martin Luther, von dem angeblich der Ausspruch stammt: „Ecclesia semper reformanda est” – die Kirche muss ständig reformiert werden. Tatsächlich stammt das Wort aber aus der reformierten hugenottischen Tradition, ein Jahrhundert nach der Reformation: „Ecclesia reformata semper reformanda.” Luther war kein Bilderstürmer und kein Revolutionär. Und wenn er von Reformation sprach, dann nicht von Strukturveränderungen, sondern von entschiedener Kehrtwendung zu Jesus Christus, und zwar dem Gekreuzigten, also von innerer Erneuerung aus dem Glauben. So begann die Reformation mit der ersten der 95 Thesen, nach der das ganze Leben des Christen eine Buße sein sollte, eine entschlossene Kehre zum Herrn der Kirche, nicht aber zu den Idealen der Organisationsberater und Sparkommissare.

Niemand schmücke sich mit fremden Federn! Ich träume manchmal davon, wir würden all den Einsatz an Sitzungen, Gremien, Dienstfahrten und Papieren, den wir im vergangenen Jahr für Reformkommissionen aufgebracht haben, in missionarisches Handeln investieren. All die Ehrenamtlichen, die in aufopferungsvoller Weise ihre freie Zeit zur Verfügung gestellt haben, alle die Hauptamtlichen, die viele ihrer sonstigen Aufgaben vernachlässigt haben, weil sie sich am Umbau der Kirche beteiligten – war das immer nötig? Haben wir nicht auch im Stillen, im Eifer des Einsatzes unbemerkt, die Reformen mit Reformation verwechselt? Ja, verpassen, verdrängen, überspielen wir gar die eigentlich notwendige Reformation durch die angestrengte Bemühung um Reform?“ (Bischof der Nordelbischen Landeskirche i.R. Hans Christian Knuth, Zeitzeichen, Nr.10/ 2004, S.25)